Sanktionen für Zeitarbeit? Ein Schlag ins Gesicht der Profession Pflege.

Im Juli 2021 habe ich in einer schriftlichen Anfrage an die Staatsregierung nach dem Umfang von Leiharbeit in der Pflege gefragt:
2019 waren in Bayern 4267 von 248350 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Pflege Leiharbeitnehmer:innen. Das entspricht einem Anteil von 1,72% insgesamt. Dazu, wie hoch deren Anteil in der Langzeitpflege zum Stichtag war, lagen der Staatsregierung keine Erkenntnisse vor.

Im August dieses Jahres forderte Staatsminister Holetschek per Pressemitteilung noch „überzeugende Konzepte“ und „attraktive Rahmenbedingungen“ für die Langzeitpflege. Je besser die Bedingungen für die Stammbelegschaft, desto unattraktiver werde der Wechsel in die Zeitarbeit, so das Kalkül.

Schon in der oben erwähnten Anfrage stellt das Ministerium klar, dass „Leiharbeitskräfte in der Pflege – anders als in anderen Bereichen – offenbar regelmäßig günstigere Bedingungen als Stammarbeitskräfte verhandeln“ können.

Eine Idee damals und im letzten August: Ein Springerpool könne die Stammbelegschaft davor bewahren, immer wieder kurzfristig bei Personalausfällen einspringen zu müssen. Denn, so hat der Minister immerhin richtig erkannt, ständiges Einspringen und dauerhaft fehlende Freizeit machen mindestens unzufrieden und schlimmstenfalls krank.

Also sollten verlässliche Dienstpläne und außerdem die Angleichung der Vergütung des Stammpersonals an die der geliehenen Fachkräfte Pflegefachpersonen an ihre Häuser binden. Positive Anreize setzen, um die gewünschte Lenkungswirkung zu erzielen: das ist konstruktive politische Arbeit. Oder hätte es sein können.

Jetzt, nur drei Monate später, denkt Herr Holetschek auf dem Gesundheitskongress in München stattdessen laut darüber nach, Sanktionsmechanismen gegen Zeitarbeit in der Pflege zu etablieren.

Es sei „inakzeptabel“, dass viele Pflegende in die Leiharbeit wechseln, findet der Staatsminister und setzt jetzt offen auf Drohungen und Strafen.
Hat das je ein:e Poltiker:in mit, sagen wir mal, Fluglots:innen versucht?

Sanktionen gegen händeringend gesuchte Fachkräfte, die im Durchschnitt nach wenigen Jahren im Beruf entkräftet aufgeben.
Sanktionen gegen die Firmen, die gut ausgebildete Spezialist:innen zu den Konditionen einstellen, die sie sich für sich und ihre Familie wünschen.
Letztlich Nachteile dafür, dass Pflegepersonal sich die Frechheit herausnimmt, sein Arbeitsverhältnis frei wählen.

Statt spürbarer Verbesserungen für die Stammbelegschaften findet das zuständige Ministerium es jetzt offenbar doch viel einfacher, ein System durch äußere Hürden zu beschränken, von dem ja nur weniger als 2% der Pflegenden in Bayern profitieren. Destruktiv statt Konstruktiv.

Der Gestaltungsanspruch der Staatsregierung an die Bayerische Pflegelandschaft ist damit wohl endgültig vom Tisch.

Dabei haben wir wirklich keine Zeit mehr zu verlieren und schon gar nicht auch nur eine einzige weitere Pflegekraft, die sich wegen Sanktionen endgültig von ihrem Beruf abkehrt.

Was hier nebenbei außer seiner ganzen Hilflosigkeit gegenüber dem eklatanten Pflegemangel aufblitzt, ist Herrn Holetscheks Bild von Pflege:
Selbstlos muss die Pflegekraft sein, der Nächstenliebe verpflichtet und sie darf bitte möglichst keine Ansprüche stellen. Tut sie es doch, wird sie auf ihren Platz verwiesen und Ausweichmöglichkeiten werden sanktioniert.
Damit, Herr Staatsminister, hinken Sie dem Selbstverständnis der Profession um viele Jahrzehnte hinterher.
Das ist schwarze Pädagogik und schon der Versuch der „Erziehung“ dieser unverzichtbaren Profession ist ein Schlag ins Gesicht all ihrer Vertreter*innen.
Das nächste „Vergelt’s Gott“ wird danach noch weniger wert sein.

Eine Bayerische Pflegekammer würde den Bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege dafür zu Recht abwatschen. So gesehen hat er persönlich natürlich jeden Grund, hier bei seiner Blockadehaltung zu bleiben.

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