Zum Tag der deutschen Einheit
1989 bin ich geboren. In dem Jahr, in dem die Mauer fiel, begann mein Leben in einem Land, das auf Einheit hoffte. Für mich war Deutschland immer eins, eine Selbstverständlichkeit, mit Grenzen, die nur auf der Landkarte existierten. Doch heute, an diesem Tag der Deutschen Einheit, überkommt mich eine tiefe Traurigkeit und auch Wut: Sind wir wirklich so vereint, wie wir es damals versprochen haben?
Wenn ich in die Gesichter der Menschen in den neuen Bundesländern schaue, sehe ich Augen voller Enttäuschung, Frust und einem Gefühl des Abgehängtseins. Es bricht mir das Herz. Wir haben damals die Mauer aus Beton eingerissen, aber in den Köpfen und Herzen sind scheinbar noch so viele Barrieren geblieben. Was ist passiert, dass heute so viele Menschen dort das Gefühl haben, nicht dazuzugehören? Wo haben wir sie auf dem Weg verloren?
Es ist schwer, nicht mit einem Kloß im Hals auf die Wahlergebnisse in vielen Teilen der ehemaligen DDR zu blicken. Da ist ein Schrei nach Anerkennung, nach Gehör und Gerechtigkeit. Und ich frage mich: Haben wir wirklich hingehört? Haben wir genug gekämpft, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen? Oder haben wir in unserem Stolz auf die Einheit einfach nicht genug hingesehen, wo es noch wehtut?
Heute ist ein Tag, der uns mahnt, der uns auffordert, wirklich hinzuschauen. Einheit ist mehr als ein Feiertag, mehr als ein Kapitel in den Geschichtsbüchern. Einheit ist etwas, das wir spüren, das uns verbindet – oder verbinden sollte. Es ist die Hand, die wir einander reichen, das ehrliche Zuhören, das Verständnis, das wir füreinander haben.
Lasst uns diesen Tag nutzen, um zu fühlen, was wirklich wichtig ist: ein Deutschland, in dem niemand zurückgelassen wird. Ein Land, in dem wir wirklich füreinander da sind, in dem Einheit nicht nur ein Wort, sondern eine tiefe Wahrheit ist. Wir können es noch schaffen, das Versprechen der Einheit zu erfüllen – aber nur, wenn wir uns dem Schmerz stellen und die Herzen der Menschen erreichen.